Neulich habe ich mehrere Stunden damit verbracht, auf die an sich einfache Frage nach der Anzahl von Ladesäulen in Deutschland eine Antwort zu finden.
Das Ergebnis war ernüchternd: Es scheint schwierig zu sein.
Ich wollte mal den Fortschritt bei der Umsetzung des Masterplans Ladeinfrastruktur der deutschen Bundesregierung vom November 2019 ansehen. Damals gab die Bundesregierung die Anzahl der Ladepunkte mit 21.100 an. Das kleine Problem dabei: Die Daten sind schwierig bis gar nicht nachvollziehbar. Zum Ende 2019 hatte der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) eine Zahl von 23.840 angegeben. Natürlich kann es zum Ende Dezember mehr Ladepunkte geben als Mitte November, aber ein Plus von 2.700 Stück (+ 12,7 %) in vier Wochen inklusive Weihnachtszeit erscheint mir doch überhöht.
Es ist nun keineswegs so, dass es keine Zahlen gäbe, im Gegenteil: Es gibt zu viele und zu unterschiedliche Zahlen.
Auf Statista findet man sehr unterschiedliche Werte: Die von Chargemap stammende Zahl von 17.733 Ladestationen und die des „European Alternative Fuel Observatory“ von 32.704, beinahe die doppelte Anzahl. Die ebenfalls dort abgebildeten Zahlen des Informationsdienstes des Instituts der deutschen Wirtschaft sind nochmals anders. Der aktuellste Wert vom März 2020 nennt 27.730 Ladepunkte – also irgendwo dazwischen.
Die Zahlen für 2019 liegen also zwischen 17.733 und 32.704 Ladepunkten. Vielleicht ist die Zahl der Bundesregierung von 21.100 ein ehrbarer Kompromiss? So ganz befriedigend finde ich das nicht.
Möglicherweise müssen wir uns zuerst einer anderen Frage zuwenden: Was ist eine Ladestation? In der Regel bietet eine Ladestation mehrere Ladepunkte an und könnte je nach Lesart auch als mehrere Ladestationen gelten. Goingelectric zählt beispielsweise Ladestandorte (derzeit in Deutschland 20.129 Stück) und Ladepunkte (derzeit in Deutschland 57.515 Stück). Die vom Zeitpunkt her vergleichbarste Zahl von Statista ist lediglich 19.417.
Das Verhältnis Ladepunkt/Ladesäule ist bei Goingelectric 2,86, damit gibt es an jedem Ladestandort beinahe drei Ladepunkte. Verwirrend wird es aber, wenn man die auf der Karte bei Goingelectric angezeigten Ladepunkte addiert: Da komme ich für Deutschland derzeit auf 31.424 Stück. Falls es sich dabei um die bestätigt in Betrieb befindlichen Ladepunkte handelt, wäre das Förderprogramm der Bundesregierung einigermaßen fehlgeleitet, denn dann wäre man besser beraten, die 25.000 defekten Ladepunkte zu reparieren. Eine derart große Anzahl von Defekten erscheint mir eher unwahrscheinlich.
Die Bundesnetzagentur hingegen hat zum heutigen Zeitpunkt 13.551 Ladesäulen mit insgesamt 26.499 Ladepunkten im Verzeichnis, ein Verhältnis von knapp zwei Ladepunkten pro Ladesäule. Es gibt zwar seit 17. März 2016 eine Anzeigepflicht, die sich aber nicht auf Anschlussleistungen unter 22 kW erstreckt – für diese (und auch ältere Ladepunkte) gilt Freiwilligkeit. Damit sind die wesentlich niedrigeren Zahlen leicht zu erklären. Die Kriterien der Bundesnetzagentur für einen öffentlichen Ladepunkt sind allerdings etwas schwammig: „Ein Ladepunkt ist öffentlich zugänglich, wenn er sich entweder im öffentlichen Straßenraum oder auf einem privaten Grundstück befindet und der zum Ladepunkt gehörende Parkplatz von einem breiten Personenkreis genutzt werden kann.“ Wie groß oder selektiv ein „breiter Personenkreis“ sein muss bleibt Ansichtssache. Ist ein Ladepunkt auf dem Firmenparkplatz eines Unternehmens mit 30.000 Beschäftigten bereits einem „breiten Personenkreis“ zugänglich? Und hat ein Kreis überhaupt eine Breite?
Weiter verkompliziert wird die Situation durch Ladeausschlüsse: An einem Triple-Charger können beispielsweise CCS und CHADEMO nicht gleichzeitig betrieben werden und dürften daher nur als ein einziger Anschluss gelten. An manchen AC-Säulen gibt es zum Typ 2-Anschluss auch eine Schuko-Dose, die aber ebenfalls nur alternativ und nicht gleichzeitig betrieben werden kann.
Noch komplizierter wird es, wenn es zusätzlich um die Ladeleistung geht: Je nachdem, wie viele Anschlüsse genutzt werden, kann die Ladeleistung deutlich variieren, was vom einfachen Typ 2-Ladepunkt bis zum Tesla-Supercharger gilt. Es gilt aber: Auch ein schwacher Ladepunkt ist einer! Wenn der Fahrakku bereits sehr notleidend ist, die Schildkröte zwinkert und sich die Fahrleistungen dem Kriechgang angenähert haben, dann ist die Ladeleistung völlig egal…
Alle diese Aspekte spielen im Masterplan der Bundesregierung aber keine Rolle. Dieser sah im November 2019 im Wesentlichen zwei Ziele vor:
- 50.000 öffentlich zugängliche Ladepunkte bis Ende 2021
- 1.000.000 öffentlich zugängliche Ladepunkte bis Ende 2030
Ausgehend von den Zahlen der Bundesregierung selbst müssten bis Ende 2021 14.450 Ladepunkte jährlich in Betrieb gehen (über 1.200 pro Kalendermonat oder etwa 55 pro Arbeitstag). Das sind durchaus erreichbare Ziele, vor allem wenn man bedenkt, dass mit einer einzelnen Ladesäule zumeist gleich zwei oder drei Ladepunkte realisiert werden.
Ab 2022 wird es allerdings etwas anstrengender, denn die Ausbaurate müsste auf 105.556 Ladepunkte pro Jahr steigen, immerhin ein Faktor elf. Das sind knapp 8.800 Stück pro Monat oder etwa 400 pro Arbeitstag!
Die zusätzlichen 100.000 Ladepunkte, deren Herstellung durch die Automobilindustrie bis 2030 angestrebt (also unverbindlich realisiert) werden soll, sind da praktisch schon vernachlässigbar. Der Beitrag der Energieindustrie zum Masterplan beschränkte sich damals offenbar auf ein Gesprächsangebot mit den zuständigen Ministern – vergessen wir das also am besten für den Moment.
Wie viele Arbeitsplätze bedeutet ein derartiges Ausbauprogramm? Eine halbwegs seriöse Abschätzung ist nicht ganz einfach, versuchen kann man sie trotzdem. Die Errichtung einer öffentlichen Ladesäule in voller Schönheit mit Anfahrschutz, Bodenmarkierung, Beschilderung, Sockel, Tiefbau, Kabelbau, Netzanschluss, Behördenwegen, Transportaufwänden, Anzeige- und Nachweispflichten, verkehrs- und baurechtlichen Genehmigungskosten, Begehungen und Absicherungen ist mit einigem Aufwand verbunden: Ein typisches Leistungsverzeichnis umfasst beispielsweise elf Seiten an Preispositionen.
Die Kosten der Ladesäule selbst variieren stark, aber beschränken wir uns hier auf Schnellladesäulen (AC bis 22 kW + DC bis 50 kW), also keine super- oder ultraschnellen Lader und schätzen die Gesamtkosten (Material und Arbeit) mit 40.000 Euro ab. Nehmen wir weiterhin an, die Arbeitskosten würden etwa die Hälfte der Kosten ausmachen und die Kosten pro Arbeitsstunde lägen bei 25 Euro pro Stunde als Durchschnittswert für alle Tätigkeiten. Dann beinhaltet die Errichtung jeder Ladesäule etwa 800 Arbeitsstunden. Das klingt auf den ersten Blick viel, beinhaltet aber auch die Produktion der Ladesäule selbst; ich finde den Wert nicht unrealistisch, zumindest die Größenordnung erscheint sinnvoll. Genauere Zahlen sind sehr willkommen, wenn sie jemand beitragen kann.
Natürlich könnte man die Ziele des Masterplans auch mit hunderttausenden Schuko-Dosen erreichen, was viel billiger wäre. Eine derart einfache Lösung ohne Stromzählung, ohne Zugangssystem und ohne Abrechnungsmaschine im Hintergrund kann ich mir in Deutschland allerdings nicht vorstellen.
Also doch „ordentliche“ Ladesäulen! Bei etwa 52.800 Ladesäulen mit je zwei Ladepunkten, die pro Stück 800 Arbeitsstunden im Rucksack haben, ergibt das etwa 42,2 Millionen Arbeitsstunden pro Jahr oder knapp 25.600 direkte Arbeitsplätze, acht Jahre lang. Klar würde man bei diesen Dimensionen eine hochautomatisierte Fertigung implementieren und die Prozesse vereinfachen, was den Beschäftigungseffekt wohl reduzieren würde. Auch wären die Zahlen deutlich geringer, wenn der Anteil der DC-fähigen Ladesäulen kleiner wäre oder überhaupt nur die einfachsten 11 kW-AC-Lader verbaut würden, die einen Bruchteil an Aufwand und Kosten verursachen.
Dennoch: Das zugegebenermaßen ehrgeizige Programm der Bundesregierung zum Ausbau der Ladeinfrastruktur hätte einen deutlichen Beschäftigungseffekt. Zum Vergleich: In einem Artikel im Spiegel von 2017 wird eine Studie zitiert, in der die Anzahl der Beschäftigten in der Braunkohleindustrie mit nur noch 20.000 angegeben wird. Der Braunkohleausstieg wäre also mit einem derartigen Ausbauprogramm der Ladeinfrastruktur in Deutschland durchaus kompensierbar. Geförderte Ladesäulen aus der Lausitz? Warum eigentlich nicht?
Aber auch oder gerade dafür wäre es spannend zu wissen, wie viele Ladesäulen es derzeit überhaupt gibt…
Sachdienliche Hinweise sind gerne willkommen!!
Genannte Organisationen
Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen: Nach Eigendefinition hat sie die Aufgabe, den Wettbewerb in den Energie-, Telekommunikations-, Post- und Eisenbahnmärkten zu fördern und die Leistungsfähigkeit der Infrastrukturen in diesen Bereichen sicherzustellen.
Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft (iwd): Nach Eigendefinition das publizistische Sprachrohr des Instituts der deutschen Wirtschaft, das von Wirtschaftsverbänden und Unternehmen finanziert wird.
Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW): Nach Eigendefinition vertreten die Mitgliedsunternehmen des BDEW (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft) jeweils rund 90 Prozent des Strom- und des Erdgasabsatzes in Deutschland.
Chargemap: Französischer Informationsanbieter und Betreiber eines Ladestromabrechnungssystems
European Alternative Fuel Observatory (EAFO): Nach Eigendefinition das von der Europäischen Kommission geförderte Informationsportal, das die Hauptinformationsquelle für alternative Treibstoffe und deren Infrastruktur in Europa werden möchte.
Statista: Anbieter für Markt- und Konsumentendaten aus Hamburg
Kommentare
8 Antworten zu „Wie viele Ladesäulen hat Deutschland?“
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