Planung
Lange hatten wir gezögert und nun haben wir uns endlich auf den Weg gemacht, um den neuen Mikro-Ladepark in Chemnitz zu besuchen. Die Herausforderung bestand darin, die 300 Kilometer Strecke mit dem ID.3 ohne Zwischenladung zu bewältigen. Tatsächlich sind wir den ID.3 auf Null gefahren…
Startpunkt war – ganz traditionell – die E-Tankstelle in Wolfsburg. Der ID.3 war das von Oliver pilotierte Musicus-Auto mit 58 kWh-Batterie, zum Vergleich war ich mit dem Tesla Model 3 Long Range unterwegs.
Die Strategie war einfach: Mit einer Geschwindigkeit von 130 km/h beginnen und dann schrittweise reduzieren, falls die Restreichweite nicht mehr ausreichen würde. Wir wollten mit etwa zehn Kilometern verbleibender Reichweite ankommen.
Beide E-Autos waren auf 100 Prozent geladen, der ID.3 zeigte 324 Kilometer Reichweite an, das Model 3 472 Kilometer. Vergleichen wir kurz die Daten:
VW ID.3 Pro (2020) | Tesla Model 3 LR (2020) | Faktor | |
Kapazität brutto | 62 kWh | 77 kWh | 1,24 |
Kapazität netto | 58 kWh | 73,5 kWh | 1,27 |
Vorhersage Reichweite | 324 km | 472 km | 1,46 |
Der ID.3 hat somit mehr Alterungsreserve, Tesla geht hier etwas mehr ans Limit. Durch die höhere Effizienz gab das Model 3 aber deutlich mehr Reichweite an.
Für den richtigen Realismus sorgte die eingeschaltete Klimaanlage in Automatikbetrieb auf 22 Grad, Windschattenfahren sollte es nicht geben.
Los!
In Niedersachsen war das Wetter nicht besonders gut, zu Beginn der Fahrt gab es etwa 12 Grad und leichten Niederschlag. Der Verkehr hatte sonntägliche Dimensionen, also eher dünn und LKWs waren kaum zu sehen. Für den ID.3 würde es knapp werden: 324 Kilometer Reichweite, 300 Kilometer Strecke.
Bereits auf dem ersten Kilometer kam die Meldung aus dem Navigationssystem des ID.3: Wir werden es nicht schaffen und ein Ladestopp sollte mit eingeplant werden. Die vom Navi vorgeschlagene Ladesäule lag bei Leipzig und die geplante Ladezeit bei satten 42 Minuten.
Wenn man bedenkt, dass dem ID.3 selbst bei konservativer Rechnung maximal 30-50 Kilometer Reichweite fehlen würden, sind 42 Minuten Ladezeit schon sehr lange. Man muss VW zugutehalten, dass das Navi nicht wissen konnte, dass unsere Fahrt genau bei einer Ladesäule enden würde, aber eine derartig lange (Zwischen-)Ladedauer könnte auf manche schon etwas abschreckend wirken.
Wir hatten ohnehin beschlossen, diesen gutgemeinten Hinweis zu ignorieren und durchzufahren. Doch bei 130 km/h sank die Restreichweite im ID.3 ziemlich rasch und so reduzierten wir die Geschwindigkeit schrittweise bis auf 115 km/h.
Das letzte Stück Strecke vor Chemnitz enthielt einige Baustellen und ein Stück vierspurige Schnellstraße. Da die Restreichweite des ID.3 teilweise knapp negativ war, fuhren wir langsamer und langsamer, bis wir wie Hindernisautos bei der Carrera Servo-Bahn mit 80 km/h dahinkrebsten.
Für uns offenbarte sich die Eigenheit der Reichweitenberechnung des ID.3, die man als Vorteil oder Nachteil sehen kann: Die Restreichweite wird anscheinend mit dem Verbrauchsdurchschnitt der gesamten Fahrstrecke hochgerechnet, nicht nach den letzten 20 oder 50 Kilometern. Weil wir zu Beginn der Fahrt relativ schnell unterwegs waren und zwischendurch nicht anhielten, sank der Durchschnittsverbrauch nicht mehr wesentlich, obwohl wir gegen Ende extrem langsam fuhren.
Das ist ziemlich konservativ gerechnet und soll wohl den unerfahrenen Nutzerkreis vor Überraschungen schützen. Das bedeutet aber auch, dass die Berechnung im ID.3 unsere Fahrstrategie „schnell+langsam“ nicht so richtig unterstützt. Das machen Renault und Tesla besser, in beiden Autos reagiert die Reichweitenvorhersage wesentlich rascher auf Verbrauchsveränderungen.
Die Auslegung des ID.3 ist weder gut noch schlecht, sie ist einfach anders und man muss sich daran gewöhnen.
Also beschlossen wir, aufs Ganze zu gehen und mit 0 km Restreichweite anzukommen. Für mehr Reserve hätten wir vermutlich auf der Schnellstraße mit 40 km/h fahren müssen – mit solchen Aktionen bekommt die Elektromobilität aber nur schlechte Presse.
Kurz nach dem Abbiegen von der Hauptstraße hatten wir noch eine späte Überraschung: Die Ladestation lag auf einem Hügel! Wer also mit der roten Schildkröte im Display ankommt, wird die Steigung bis zum rettenden Stromanschluss möglicherweise nicht mehr schaffen…
Olivers ID.3 meisterte den letzten Anstieg bei Ladestand 0 Prozent und 0 Kilometern Restreichweite jedoch ohne zu Murren. Wir denken allerdings, dass das mit unserem sehr langsamen Tempo auf den letzten 25 Kilometern zusammenhing, der ID.3 also in Wirklichkeit noch durchaus einige Kilometer mehr in der Batterie hatte, die er aber aufgrund der Eigenart in der Reichweitenberechnung nicht mehr angezeigt hatte.
Keine gelbe oder rote Schildkröte kündigte das nahe Ende der Reichweite an, also entweder ein Bug in der Software oder doch noch deutlich mehr Saft in der Batterie als angezeigt. Leider verschenkt VW damit einiges an Reichweitenpotenzial, denn einen Blindflug unter 0 Kilometern wird niemand gerne machen. Bis zur gelben Schildkröte weiter zu fahren wäre vielleicht ein interessantes Experiment gewesen…
Zahlen, Daten, Fakten
Den Gesamtverbrauch konnten wir für den ID.3 leider nur indirekt ermitteln: Bei 0 Prozent Restkapazität sollten es 58 kWh gewesen sein, auf 295 Kilometer ergibt das 19,7 kWh pro 100 Kilometer.
Der Tesla hatte noch 33 % Kapazität im Akku, der Verbrauch auf der Strecke lag rechnerisch bei 49 kWh, das Auto zeigte allerdings nur 46 kWh Verbrauch für exakt 293,4 Kilometer an, also 15,6 kWh / 100 km. Mit dem rechnerischen Verbrauch von 49 kWh wäre der Durchschnitt 16,7 kWh / 100 km gewesen. Aller Internet-Diskussionen zum Trotz gehört die Verbrauchsanzeige im Tesla noch zu den eher wenig erforschten Zonen der Elektromobilität…
Sehen wir uns das Ergebnis im Vergleich an:
VW ID.3 Pro (2020) | Tesla Model 3 LR (2020) | Faktor | |
Kapazität brutto | 62 kWh | 77 kWh | 1,24 |
Kapazität netto | 58 kWh | 73,5 kWh | 1,27 |
Vorhersage Reichweite | 324 km | 472 km | 1,46 |
Verbrauch | 58 kWh | 46 kWh (49 kWh) | 1,26 (1,18) |
Ergebnis Reichweite | 294 km | 439 km (294 km + 145 km) | 1,49 |
Die Zahlen passen insgesamt recht gut zusammen: Ein Verbrauchsvorteil von ca. 20 % und ein Batteriegrößenvorteil von 27 % ergeben ungefähr den gesamten Reichweitenvorteil von 50 % zugunsten des Model 3.
Endlich Aufladen
Die Ladesäule zeigte dasselbe an, wie das Auto: ID.3 auf Null Prozent. Die Hochrechnung für die Ladedauer auf 100 Prozent betrug 65 Minuten. Aber auch beim Aufladen rechnete der ID.3 konservativ: Nach nur sechs Minuten hatte die verbleibende Ladedauer bereits um 10 Minuten abgenommen.
Bei 10,3 kWh Energieaufnahme in 6:12 Minuten brachte der ID.3 die vollen 100 kW Ladeleistung. Leider zeigten weder das Auto noch die Ladesäule die Ladeleistung direkt an, das sollte VW irgendwann auch noch ändern.
Die Auslastung des Ladeparks HEOS an diesem Sonntag war ziemlich hoch. Nur ein einziger CCS-Anschluss war frei, passend für Olivers ID.3. Kurz nach uns kam ein weiterer ID.3 an, der warten musste. So ging es während unseres Besuchs kontinuierlich weiter: Wurde ein CCS-Anschluss frei, war er kurze Zeit darauf gleich wieder belegt. Für den Tesla blieb nur einer der beiden langsamen AC-Lader übrig, er konnte zum Glück auch mal an den 50 kW-CCS-Anschluss.
Zwischendurch konnten wir auch einen Blick auf einen brandneuen ë-C4 werfen. Hübsches Auto, in der Größe dem ID.3 ziemlich ähnlich, aber gefühlt weniger hoch. Insgesamt unauffällig, es gibt ihn leider auch als Verbrenner…
Fazit
Was haben wir bei unserer Fahrt herausgefunden?
- 300 Autobahnkilometer am Stück sind für den ID.3 mit mittlerer Batteriegröße, bei mittelmäßigen Temperaturen und 120 km/h völlig problemlos zu schaffen.
- Der ID.3 rechnet sehr konservativ: Hohe Verbrauchsannahme, langes Zwischenladen, überlange Ladeprognose. VW will wohl mit allen Mitteln vermeiden, dass unerfahrene E-Nutzer:innen am Straßenrand stromlos ausrollen.
- Als erfahrener Nutzer muss man diese Auslegung gedanklich kompensieren, dann hat man mehr vom Auto.
- Die Verbrauchsanzeige im Model 3 untertreibt, aber durch die schnelle Aktualisierung der Reichweite spielt es keine Rolle.
Und natürlich: Der HEOS-Ladepark ist sehr empfehlenswert!